Vom SocialSciencePopUpStore zum Demokratie-Café und Mitmachladen - öffentliche, aktivistische und performative Soziologie

von Franka Schäfer

Demokratie-Laden in der City Galerie

 

Von Katja Schock, Franka Schäfer & Robert Jende

 

„Demokratie kann man nicht kaufen, Demokratie muss man machen!“ So lautete das Motto am Samstagnachmittag des 20. April 2024 im Social Science Pop Up Store in der City Galerie in Siegen. Zum ersten Mal öffnete der Demokratie-Laden die Glastüren eines ansonsten leerstehenden Geschäfts. Nicht erst seit der erneuten Pleite von Galeria Kaufhof dämmert es den Letzten, dass die Zeit der großen Malls vorüber ist. Warum also nicht Demokratie und Selbermachen in die kapitalistischen Zentren der Städte tragen? Also komm herein, bring dich ein! (Abbildung 1)

Der Social Science Pop Up Store entstand aus einer Initiative der Soziologinnen Franka Schäfer und Uta Liebeskind im Rahmen der Strategie „Uni kommt in die Stadt“. Seit einem Jahr finden in dem Ladenlokal der City Galerie Seminare der Universität Siegen außerhalb des Uni Campus statt. In diesem Seminarraum bleiben die Studierenden nicht nur unter sich. Im Rahmen der Erprobung von Methoden des Wissenschaftsaktivismus finden dort regelmäßig öffentliche Aktionen statt, bei denen der Laden für alle Interessierten zum partizipativen Ort wird. Im Sommer 2023 konnten dort Besucher*innen gemeinsam mit Studierenden zum Thema Konsum forschen, Anfang dieses Jahres fanden unter dem Motto Kleidertausch statt Konsumrausch mehrere Kleidertauschpartys mit konsumkritischer Note im Science Pop Up Store statt.

 

Demokratie statt Konsum im Zentrum

Wie es bereits der Stadtsoziologe und Philosoph Henri Lefebvre in seinem zum geflügelten Prinzip gewordenen Recht auf Stadt kritisierte, fehltin den Sammellagern der profitorientierten Bedürfnisdefinition ein gemeinsamer Raum des politischen Dialogs, um Bedürfnisse gemeinsam zu definieren. Es ist das Bedürfnis nach „Orten der Gleichzeitigkeit und Begegnung, Orten an denen der Tausch nicht über den Tauschwert, den Handel und den Profit erfolgt“ (Lefebvre 2016, S. 149), das in einem Einkaufszentrum nichts zu suchen hat. Spaziert man mit einem soziologischen Blick durch die Mall, so fällt die Abwesenheit zwischenmenschlicher Begegnungen ins Auge – außer zwischen Verkäuferin und Kunde, an der Kasse, im Verkaufsgespräch. Auf den Gängen, zwischen den Regalen oder in der Schlange ist die Kundschaft tunlichst versucht, Kontakt zu vermeiden.

An diesem Samstagnachmittag im April 2024 wurde der Pop Up Store von Robert Jende kurzerhand zum Demokratie-Laden umgebaut. Gemeinsam mit Yannik Bollmann (foodsharing Siegen) und Katja Schock, Mitarbeiterin im Projekt Postnormal Science in Postnormal Times kam das Demokratiecafé (Abbildung 2) im Einkaufszentrum zum Einsatz. Es wurden Zeit und Raum der Begegnung, des Austauschs von Perspektiven, der Ergründung gemeinsamer Bedürfnisse und der Planung konkreter Projekte und Veranstaltungen eröffnet (Abbildung 3).

 

Mitmach-Laden

Im Zuge der gemeinsamen Erprobung demokratischer Praxis verwandelte sich der Social Science Pop Up Store in einen Mitmach-Laden. In einem gemeinsamen Aushandlungsprozess wurde als zentrales Bedürfnis der Siegener*innen nicht nur formuliert, dabei mitzureden, was denn an einem so zentralen Ort in einer Stadt, dem großen Einkaufszentrum, überhaupt stattfinden soll, sondern auch die umzusetzenden Anliegen gemeinsam vor Ort hervorzubringen (Abbildung 4). Dass Demokratie einen offenen aber festen Ort braucht, darüber waren sich alle schnell einig, so dass die Verstetigung des Ladens zum gemeinsamen Projektziel bestimmt wurde. Um vielfältigen Ideen und Projekten Raum geben zu können, öffnet der Laden deshalb in Zukunft als Mitmach-Laden, so dass gelebte Demokratie in der Alltagspraxis der Shoppingmal erfahrbar wird und weitere Leute anstecken kann.

Der Nachmittag war entsprechend ein voller Erfolg, denn kurz vor Ladenschluss gründeten die verbliebenen Teilnehmer*innen eine Gruppe für die weitere Planung der inhaltlichen Ausstattung des Raumes (Abbildung 5). Gleich am Montag ging es weiter und die sich nun mitverantwortlich für den Laden fühlenden Leute gründeten eine digitale Kommunikationsgemeinschaft zur Koordination verschiedener Mitmachaktivitäten.

 

Das Zentrum beleben

Das Experiment, sich gemeinsam und demokratisch über die Ausgestaltung von Zeit, Raum und Konsum auszutauschen könnte auch ein Vorbild für andere Städte und Stadtzentren sein, um auf die „aussterbenden Innenstädte“ zu reagieren. So können die Innenstädte ganz im Gegenteil mit Begegnung, Spiel und gemeinsamen Aktivitäten belebt und dem demokratischen Zusammenleben durch die gemeinsame Nutzung des Raumes eine Frischzellenkur verabreicht werden. Der Gebrauchswert einer Stadt würde in die Höhe schießen. Das brächte auch unvorstellbare ökologische Vorteile mit sich, wenn plötzlich nicht bloß der Müll der Zukunft seinen Besitzer wechselt, sondern Reparatur- und Kleidertausch-Geschäfte das bereits Produzierte zirkulieren lassen. Auch die Ernährung der Stadtbewohner*innen ließe sich ganz anders organisieren.

Bereits beim ersten Besuch wurde der Demokratie-Laden zu „ein[em] Ort zum Bubbles aufbrechen und über er den Tellerrand schauen.“ (O-Ton einer Teilnehmerin). Es sind dort Menschen zusammengekommen, die Mitstreiter*innen für basisdemokratische Initiativen gefunden haben und nun gemeinsam ihre Projektideen weiterverfolgen und umsetzen möchten. Eine Teilnehmerin "fand es toll, dass der außergewöhnliche Ort auch außergewöhnliche Menschen zusammengebracht hat, die bereit sind, jenseits ihrer Bubbles demokratische Praxis auszuprobieren." Eine andere Besucherin des Demokratie-Ladens begeisterte, „dass neue Leute da waren, die sich für unsere Projekte interessiert haben und die mich auf andere Anliegen und Projekte aufmerksam gemacht haben.“ (Abbildung 6)

Die angenehme und konstruktive Atmosphäre an diesem Nachmittag in der City Galerie wird von einer weiteren Besucherin des Demo-Ladens bestätigt: „Ich fand es schön, mich mit neuen und bekannten Menschen auszutauschen und dabei auch mal wieder festzustellen, wie jeder Mensch seine eigene Perspektive und Denkweise hat und unterschiedliche Dinge einbringen kann. Ich glaube es ist sehr wichtig, ein Netzwerk um den Laden zu spinnen, damit auch genug Menschen zusammenkommen, um den Laden dauerhaft mit Leben zu füllen. Und dass auch verschiedene Ideen zusammenkommen.“

Es geht also weiter mit dem Demokratie-Laden in der City Galerie, der zukünftig als demokratischer Mitmach-Laden weitergeführt wird. Wenn der Mitmach-Laden am 15. Juni das nächste Mal öffnet, ist der nächste Schritt nun die weitere Planung und Umsetzung der entstandenen Ideen voranzutreiben, um den Laden zu beleben und einen dauerhaften Begegnungsort der Demokratie in der City Galerie zu schaffen. (Abbildung 7)

 

Literatur:

Henri Lefebvre (2016): Das Recht auf Stadt. Hamburg: Edition Nautilus.

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